Dienstag, 30. November 2010

Nahrungsergänzungsmittel - Geschäft mit der Angst

Bei der modernen Ernährungsweise sollen Nahrungsergänzungsmittel (NEM) angeblich unumgänglich notwendig sein. Durch sie soll eine optimale Nährstoffversorgung garantiert und Erkrankungen vorgebeugt werden. Dazu kommt, so wird behauptet, ein angeblich ständig zunehmender Verlust von Nährstoffen durch Bodenauslaugung bei Gemüsen und Früchten, sowie durch zunehmende Degeneration der Pflanzen und zu langen Transportzeiten. Stress, Umweltbelastung und einseitige Ernährung werden als Hauptfaktoren für Avitaminosen genannt, deren Folgen sich angeblich durch NEM ausgleichen lassen.

Dem Stress und der Umweltbelastung sind alle Menschen ausgesetzt und es bleibt fraglich, ob sich deren Folgen durch Vitamingaben etc.eliminieren lassen. Dennoch, eine klug gewählte Behauptung der NEM-Verkäufer, mit der sich fast alle Menschen zu Kunden machen lassen. Der verbleibende "kleine Rest" der Menschheit wird mit dem Stichwort "einseitige Ernährung" verunsichert und gehört nun ebenfalls zum potentiellen Klientel.

Sind Nahrungsergänzungsmittel (NEM) notwendig?
Nach Untersuchungen zur allgemeinen Ernährungslage in Deutschland sind NEM nicht notwendig. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat den Nährstoffgehalt dreier Lebensmittel in den letzten 50 Jahren verglichen. Demnach enthalten Orangen heute genauso viel Vitamin C wie vor 50 Jahren. Das gleiche gilt für Kartoffeln. Nur bei Äpfeln schwanken die Werte über die Jahre hinweg. Allerdings soll das jahreszeitlich bedingt sein, und ist somit kein Anzeichen für generellen Verlust an Nährstoffen. Lebensmittelchemiker der Universität Kaiserslautern haben die Hypothese vom angeblichen Nährstoffmangel untersucht und ebenfalls keinen Hinweis darauf gefunden.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hält Nahrungsergänzungsmittel für gesunde Personen, die sich normal ernähren, für überflüssig. Bei normaler Ernährung erhält der Körper alle Nährstoffe die er braucht. Selbst eine einseitige, unausgewogene Ernährungsweise könne durch den Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln nicht ausgeglichen werden.

Schäden durch Vitaminpräparate
Untersuchungen weisen darauf hin, dass Vitaminpräparate oft eher schaden als nützen. Besser als durch Pillen ist man mit Gemüse und Obst versorgt. Der Vitamin-Euphorie wurde bereits 1994 ein Dämpfer verpasst. Da wurde eine finnische Studie an der mehr als 29 000 Rauchern teilnahmen, durchgeführt. Sie sollte zeigen, ob Betacarotin, eine Vorstufe des Vitamins A, Raucher vor Lungenkrebs schützt. Erwartet wurde eine positive Wirkung, heraus kam das Gegenteil: Die Häufigkeit von Lungenkrebs stieg in der Gruppe, die mit Betacarotin behandelt wurde, um 18 Prozent an. 1996 wurde aus gleichen Gründen eine amerikanische Studie abgebrochen, bei der die Häufigkeit des Lungenkrebses sogar 28% betrug.

Ähnliches zeigt sich beim Vitamin E, dass von "Ernährungsberatern" oft in hohen Dosen angeraten wird, die die Zellen vor schädlichen freien Radikalen zu schützen und vor Herz- und Kreislauferkrankungen bewahren sollen. Gegen Entzündungen, Alterungsprozesse, Nervenleiden und vieles mehr gilt Vitamin E in hochdosierter Form als Allheilmittel. Dr. Edgar Miller von der Johns-Hopkins-Universität, Baltimore, räumt mit diesen Vorstellungen auf. In 19 Studien mit insgesamt 137.967 Teilnehmern wurde ermittelt, welchen Einfluß eine hohe Vitamin E-Dosierungen auf das Sterberisiko haben. Die Beobachtungszeit lag zwischen 1,4 und 8,2 Jahren. Die Patienten hatten täglich zwischen 16,5 und 2000 i.E. Vitamin E eingenommen. Das Ergebnis erschreckend, denn schon ab einer Tagesdosis von 200 i.E. nahm die Sterblichkeit zu. (Quelle: Stiftung Warentest)

Selen steht im Verdacht Diabetes auszulösen, vom Zink kann als erwiesen angenommen werden, dass es gegen Erkältungskrankheiten ebenso unwirksam ist wie beispielsweise Vitamin C. Darüber existieren weitere Kritiken, die in der Zeitschrift "Schweizerfamilie" überzeugend und gut nachvollziehbar dargestellt werden.

Von Giften und Gegengiften
Schlangengift kann tödlich sein und das Gegenmittel rettet Leben. Welchen Sinn kann es da machen weiterhin Schlangengift zu konsumieren und zusätzlich ein Gegenmittel zu schlucken?

Unter der Voraussetzung, dass Umweltfaktoren, Stress und Fehlernährung tatsächlich einen "Vitalstoffmangel" verursachen, können NEM somit nur die Rolle des "Gegengiftes", also die der Ersten Hilfe einnehmen. Danach sollten, um dauerhafte Schäden zu vermeiden, Verursacher ausgeschaltet werden.

Statt immer und immer wieder Vitamine, Spurenelemente & Co in Pulver- oder Tablettenform zu verkaufen, dürfte es sinnvoller sein von deren Anbietern knackfrisches Gemüse und taufrisches Obst angeboten zu bekommen. Dazu könnten Kochkurse kommen, um noch bessere Ergebnisse zu erzielen.

Dieser Vorschlag wird wahrscheinlich nicht auf Gegenliebe stoßen, da er nur mit erheblichem Arbeitsaufwand bei deutlich geringeren Gewinnmargen realisierbar sein wird.

Klaus Radloff
www.klaus-radloff.com