Freitag, 2. Dezember 2011

IGeL oder so werden Patienten über den Tisch gezogen


Da gesetzliche Krankenkassen ihre Leistungen immer mehr pauschalisieren und damit reduzieren, fallen ärztliche Honorare zunehmend geringer aus. Ärzte versuchen die so entstehenden Verdienstausfälle, durch Verkauf von Zusatzleistungen an den Patienten auszugleichen. "IGeL", (Individuelle Gesundheitliche Eigen-Leistung) ist die Lösung.

Dafür zahlt der Patient aus eigener Tasche. Hinter dieser Idee steht die Überlegung, dass ärztliche Leistungen, die nicht im Zusammenhang mit der Behandlung von Krankheiten stehen, von den Krankenkassen nicht bezahlt werden können. Dabei handelt es sich einerseits um durchaus sinnvolle, beispielsweise vorbeugende Maßnahmen, wie Gesundheitsatteste für Lebensversicherungen, Impfungen, prophylaktische Blutbilder und Laboruntersuchungen, etc. Sämtlich Leistungen, die nicht im Zusammenhang mit der Behandlung von Krankheiten stehen. Darüber hinaus wird eine große Palette zusätzlicher, meist Therapien mit zweifelhaftem Wert angeboten, die dem Praxisbetreiber „den Belag auf´s Brot“ bringen.

Geld stinkt nicht! 

„Ich wüsste da eine sehr gute Therapie für Sie, die aber noch so neu ist, dass sie von den Krankenkassen noch nicht bezahlt wird“. So oder ähnlich beginnen viele Gespräche, mit denen „Igel“ verkauft werden sollen. Ja, und dann folgen viele Angebote, wie sie von Heilpraktikern auch gemacht werden. Der ansonsten geforderte Anspruch der Schulmedizin auf Wissenschaftlichkeit ist plötzlich ohne Belang und so werden dann – zum ärztlichen Wohl – Fußreflexzonenmassagen, Atlas- und Kranio-sakrale Therapie, Homöopathie etc. empfohlen. Derartige Behandlungen können übrigens vom Arzt auch an unausgebildetes Personal delegiert werden und so kann es geschehen, dass eine weißgekleidete Klosetbürste (Putzfrau) Therapien durchführt, die sie niemals umfassend erlernt hat.
Esoterik pur: IGeL-Leistung Reiki
Die dem Reiki zugrunde liegende Idee ist, zu heilen wie es einst Jesus tat und so sollen dann bei Behandlungen Lebensenergien vom Behandler auf den Patienten übertragen werden. Eine Spielerei für gelangweilte Hausfrauen, die aber auch von Ärzten als IGeL angeboten wird. 

Chiropraktik (Chirotherapie) Kassenleistung oder Igel?
Die Chirotherapie gehört zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen. Zahlungen durch Patienten werden mit einem einfachen Trick möglich: Nach Ausbildung und Prüfung in der Chirotherapie wird von der Ärztekammer die Zusatzbezeichnung „Chirotherapie“ genehmigt. Mit dieser Genehmigung kann die Abrechnung bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) beantragt werden. Wird dieser Antrag nicht gestellt, bleibt die Chirotherapie eine vom Patienten zu bezahlende Leistung. Bereits bestehende Abrechnungsgenehmigungen können dort auch zurückgegeben werden. Siehe: http://www.facharzt.de/content/red.otx/574,55319,0.html

Ob Kassenleistung oder nicht, es bleibt die Tatsache, das chirotherapeutische Behandlungen in nur äußerst seltenen Fällen länger als 5 Minuten dauern und von Kritikern als esoterischer Unsinn gesehen werden. Beschwerden der Halswirbelsäule? Ein paar ruckartige Griffe am Hals oder Nacken genügen? Vergleicht man die Wirbelsäule mit dem „Schiefen Turm von Pisa“, dann kommt jeder Bauarbeiter zu dem Schluss, dass die Absicht den „Turm Wirbelsäule“ über die Stellungskorrektur der obersten Plattform unsinnig sei. Chirotherapeuten und Chiropraktikern ist dieses Kunststück jedoch angeblich möglich.

Die industriellen Igel (Stoßwellentherapie)
Die Industrie versucht sich natürlich auch an diesen Boom anzuhängen und bietet Gerätschaften an, die Gesundheit bewirken sollen. Ein Beispiel dazu ist die „Stoßwellentherapie“. Stoßwellen wurden ursprünglich als nicht-invasive Behandlungsmöglichkeit von Nieren- und Harnsteinen eingesetzt. Sie werden im klinischen Bereich verwendet. Allerdings ist dort die Zahl der benötigten Geräte verhältnismäßig klein. Folglich suchte und fand die Industrie weitere Absatzmärkte dafür im ambulanten Bereich. Allerdings nicht um Steine aufzulösen, sondern zur Behandlung von Rücken- und Gelenkbeschwerden.

Fersensporn, Tennisellbogen, Achillessehnenreizung, Patellaspitzensyndrom, Dupuytrenscher Kontraktur, Knochenbruch-Heilungen sind in etwa die Indikationen, die mit starken mechanischen Schwingungen, vergleichbar mit denen eines Presslufthammers, „durchgeschüttelt werden. Diese mechanischen Reize werden kritiklos auch bei entzündlichen Zuständen angewendet. So beispielsweise bei einer Dupuytrenschen Kontraktur, einer extrem entzündlichen und hochschmerzhaften Komplikation z. B. nach Knochenbrüchen, die ansonsten mit Unmengen entzündungshemmender Medikamente behandelt wird. Wie Behandlungsberichten zu entnehmen ist, entwickeln sich danach sehr starke Schmerzen. Ärztlicherseits wird dazu gesagt, dass es bis zu 10 Wochen dauern kann, bis Beschwerdefreiheit eintritt. Eine Zeitspanne übrigens, in der auch ohne heilungsbehindernde Vorbehandlung sich derartige Zustände gelegentlich normalisieren. Kostenpunkt für diese Tortur zwischen 30 und 120 Euro pro Misshandlung.


IGeL und der Verbraucherschutz
Die Verbraucherzentralen betrachten ebenfalls nicht alle dieser Angebote für  medizinisch sinnvoll. Auch nach Auffassung der Patientenbeauftragten der deutschen Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel, bieten Ärzte Maßnahmen an, deren Nutzen häufig fragwürdig sei. Selbst der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung kritisiert, dass Patienten zu fragwürdigen Leistungen überredet würden, und fordert Gegenmaßnahmen und der als Kritiker von Ärzten und der Pharmaindustrie bekannt gewordene Journalist Jörg Blech bezeichnet IGeL als „intransparentes Gemisch überflüssiger Leistungen“. Der Verbraucherschützer Wolfgang Schuldzinski von der Verbraucherzentrale NRW nannte die meisten solcher Zusatzangebote entweder „nicht zwingend erforderlich“, „schlicht überflüssig“ oder gar „medizinisch fragwürdig“.Verteidigt werden dagegen IGeL-Leistungen von ärztlicher Seite und so soll der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, Axel Munte gesagt haben: „Die Gesetzliche Krankenversicherung kann keine Optimalversorgung gewährleisten“ und daher sei eine Ergänzung durch IGeL sinnvoll“.

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